Die Sage vom Hexentanz am Latemar
In Südtirol gibt es zahlreiche Sagen. Auch rund um das Rosengarten- und das Latemargebirge werden durch den Volksmund Geschichten erzählt, die hier von Generation zu Generation weitergegeben werden. Eine Sage davon ist die Sage vom Hexentanz am Latemar.
Die Sage erzählt von einer Magd, die in Eggen vor sehr langer Zeit bei einem Bauern beschäftigt war. Die Magd war hilfsbereit und fleißig, aber auch schön und rein. Jeder schätzte die Magd und ihre ruhige Art sehr. Dennoch war ein Verhalten von ihr mehr als auffällig. Immer donnerstags ist sie kurz nach Sonnenuntergang verschwunden. Dabei spielte es keine Rolle, welche Jahreszeit es war, ob noch etwas zu erledigen gewesen wäre oder auch, dass man gerade gemütlich in der Stube beisammen saß. Die Magd verschwand an einem Donnerstagabend sogar, als der Bauer verstorben ist und dessen gesamte Belegschaft zusammensaß um zu beten. Die Magd stand einfach auf und verschwand.
Das Verschwinden der Magd
Niemand störte sich an dem merkwürdigen Verhalten der Magd. Weder der Bauer noch die Bäuerin und auch die anderen Mägde nahmen das abendliche Verschwinden der Magd eher mit einem Lächeln zu Kenntnis. Nur einer interessierte sich für das Verschwinden der Magd sehr. Der Knecht Joggl hatte sich nämlich in die Magd verliebt und wollte daher wissen, was seine Angebetete jeden Donnerstagabend tat. Daher schlich er der Magd an einem Donnerstag aus der Stube hinterher. An der Haustüre angekommen, konnte er gerade noch sehen, dass sie im Stall verschwunden ist. Er sauste der Magd in den Stall hinterher. Er nahm sich vor, wenn er der Magd im Stall begegnete, sie zu fragen, ob sie die Kühe ein zweites Mal melken wolle. Doch als er im Stall ankam, war die Magd verschwunden. Nirgendwo konnte Joggl sie finden.
Joggl überlegte sich einen Plan. Am darauf folgenden Donnerstag ging er in den Stall und versteckte sich im Halbdunkel. Und er hatte Erfolg. Schon nach kurzer Zeit kam die Magd wieder in den Stall. Sie ging auf direktem Weg in eine Ecke. Dort zog sie einen losen Stein aus der Wand. Dahinter war ein Gefäß mit einer Salbe. Diese strich sie sich ins Gesicht und sagte: „Jetzt auf und davon, oben aus und nirgends an!“ Kurz nachdem sie den Spruch aufgesagt hatte, war die Magd spurlos verschwunden. Joggl konnte das ganze gar nicht glauben und wollte den Stall schon wieder verlassen. Doch die Neugier trieb ihn ebenfalls in die Ecke mit dem losen Stein. Er strich sich ein wenig der Salbe in sein Gesicht und sagte den Spruch auf, den er zuvor von der Magd gehört hatte.
Kaum war die Formel ausgesprochen, flog er wie ein Vogel aus dem Stall über Wiesen und Wälder und kam auf einer schönen Wiese an. Dort brannten hunderte Fackeln und machten ein lustiges Licht. Auch brannte in der Mitte ein großes Lagerfeuer. Einige Dutzend Männer und Frauen tanzten hier miteinander. Joggl betrachtete das ganze Treiben von der Ferne aus und konnte nicht begreifen, was er gerade sah. Er wusste nicht, ob er gerade wachte oder träumte. Er sah den Leuten, die allesamt sehr schön waren, beim Tanzen zu.
Schon nach kurzer Zeit kam eine junge Frau zu ihm und forderte ihn zum Tanz auf. Doch er wirkte etwas unbeholfen und unsicher. Daher führte die junge Frau ihn nach dem Tanz zu einem kleinen Tisch in der Mitte, an dem ein alter Mann saß. Der alte Mann fragte Joggl, ob er zum ersten Mal hier sei und wer ihn hier eingeführt hat. Zuerst war er von dem ganzen Geschehen sprachlos, konnte bald jedoch seine Stimme wieder finden und brachte schüchtern „die Moidl“ über seine Lippen.
Das Ende der Hexentänze
Der alte Mann schien sich mit der Antwort zufrieden zu geben und forderte ihn auf, seinen Namen in ein Buch zu schreiben. Danach würde er zu ihnen gehören und fröhlich sein können. Der Alte öffnete das Buch und reichte Joggl einen Federkiel, welcher in Blut getränkt worden war. Joggl bekam in diesem Augenblick eine wahnsinnige Angst. Unter keinen Umständen wollte er seinen Namen in das Buch schreiben und er wollte auch nicht seine Seele verkaufen. Da er nicht wusste, wie er sich aus seiner Situation befreien konnte, nahm er den Federkiel und schrieb den Namen „Jesus“ in das Buch.
Kaum hatte er den Namen geschrieben, kam ein riesiger Blitz vom Himmel und traf die Wiese. Anschließend setzte ein Donnerschlag ein, bei dem man den Eindruck hatte, dass dieser nie mehr enden wollte. Kurz darauf war alles nur noch dunkel. Was dann geschah, bekam Joggl nicht mehr mit. Er erwachte erst am folgenden Morgen mitten auf dem Latemar. Bis auf das, dass ihm seine Knochen von dem harten Gestein des Latemars, auf dem er geschlafen hatte, weh taten, ging es ihm gut. Er machte sich zum Abstieg vom Latemar auf und kam erst zum Betläuten am Freitag wieder zu Hause an.
Joggls Geheimnis
Zu Hause angekommen, musste er feststellen, dass die Magd noch nicht da war. Seine Angebetete kam auch nie wieder zurück. Auch auf den umliegenden Höfen und den Dörfern waren einige Leute einfach verschwunden. Sie hatten sich weder verabschiedet noch ein Wort des Dankes zurück gelassen. Niemand konnte sich erklären, wo diese Menschen verblieben sind oder warum diese verschwunden sind. Nur Joggl hatte eine Erklärung dafür, die er jedoch nie jemanden erzählt hatte.